Das Arztrecht und Medizinrecht haben sich in den letzten Jahren aufgrund technologischer Entwicklungen, gesetzlicher Anpassungen und gesellschaftlicher Veränderungen weiterentwickelt. Nachfolgend werden die wichtigsten Neuerungen in Deutschland und Europa dargestellt.
1. Arztrecht
a. Novellierung der Berufsordnung für Ärzte
- Digitalisierung und Telemedizin:
- Erweiterung der Möglichkeiten zur Fernbehandlung:
- Ärzte dürfen Patienten auch ausschließlich per Video oder Telefon beraten, sofern dies medizinisch vertretbar ist (§ 7 Abs. 4 Musterberufsordnung – MBO-Ä).
- Dokumentationspflichten: Ärztliche Fernbehandlungen müssen umfassend dokumentiert werden, insbesondere bei Diagnosestellungen und Verordnungen.
- Praktische Auswirkungen: Zunehmende Nutzung von Apps und Plattformen für die ärztliche Beratung und Überwachung chronischer Erkrankungen.
- Erweiterung der Möglichkeiten zur Fernbehandlung:
- Ärztliche Werbung und Social Media:
- Lockerungen in den Werbebeschränkungen der Berufsordnung (§ 27 MBO-Ä):
- Ärzte dürfen jetzt informative Inhalte auf Social-Media-Plattformen teilen, solange diese sachlich und nicht irreführend sind.
- Grenzen: Werbung bleibt unzulässig, wenn sie auf Gewinnmaximierung abzielt oder die Entscheidungsfreiheit der Patienten beeinträchtigt.
- Lockerungen in den Werbebeschränkungen der Berufsordnung (§ 27 MBO-Ä):
- Berufshaftung und Compliance:
- Verschärfte Haftungsanforderungen: Ärzte haften für Behandlungsfehler, die auf mangelnde digitale Kenntnisse oder fehlerhaften Einsatz von Medizintechnik zurückzuführen sind.
- Pflicht zur Weiterbildung: Ärzte müssen sich regelmäßig über Neuerungen in der Medizintechnologie und digitalen Gesundheitsversorgung fortbilden.
b. Neue Regeln zur Patientenaufklärung
- Erweiterte Aufklärungspflichten:
- Informed Consent: Patienten müssen über alternative Behandlungsmethoden, Risiken und die Kostenübernahme durch Krankenkassen informiert werden.
- Nutzung von KI und Medizintechnik: Ärzte müssen Patienten darüber aufklären, wenn Algorithmen oder KI-Systeme in der Diagnostik oder Therapie verwendet werden.
- Sprachbarrieren und Übersetzungen:
- Neue gesetzliche Regelungen schreiben vor, dass Patientenaufklärungen in einer für den Patienten verständlichen Sprache erfolgen müssen. Übersetzungsdienste oder Dolmetscher sind bei Bedarf verpflichtend einzusetzen.
c. Änderungen im Heilmittelwerbegesetz (HWG)
- Lockerung der Werbevorgaben:
- Ärzte dürfen wissenschaftliche Studienergebnisse in der Werbung nutzen, sofern die Studien unabhängig und nicht irreführend sind.
- Erlaubnis zur Nutzung von Erfahrungsberichten, wenn diese sachlich und nachprüfbar sind.
- Strengere Regelungen für Werbung mit Erfolgsversprechen:
- Aussagen wie „Garantierte Heilung“ oder „100 % schmerzfrei“ sind weiterhin untersagt und können zu empfindlichen Bußgeldern führen.
2. Medizinrecht
a. Neuerungen im Krankenhausrecht
- Krankenhausstrukturgesetz (KHSG):
- Ziele: Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung und Modernisierung der Krankenhauslandschaft.
- Änderungen:
- Einführung eines Qualitätszuschlags: Krankenhäuser erhalten zusätzliche Mittel, wenn sie bestimmte Qualitätsstandards erfüllen.
- Personalvorgaben: Strengere Regelungen zu Mindestpersonalbesetzungen auf Intensivstationen und in der Notaufnahme.
- Praktische Auswirkungen: Höherer Druck auf Krankenhäuser, digitale Lösungen wie KI zur Unterstützung von Personalengpässen einzusetzen.
- Krankenhausfinanzierung:
- DRG-System: Änderungen am Fallpauschalensystem (Diagnosis Related Groups), um die Behandlung von Patienten mit komplexen Krankheitsbildern besser zu vergüten.
b. Digitalisierung im Medizinrecht
- Digitale-Gesundheitsanwendungen (DiGA):
- Erweiterung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG):
- Ärzte können Apps auf Rezept verschreiben, z. B. für die Behandlung von Diabetes, Depressionen oder Bluthochdruck.
- Neue Anforderungen an den Datenschutz: Hersteller müssen umfassend nachweisen, dass die Daten sicher gespeichert und verarbeitet werden.
- Erweiterung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG):
- Elektronische Patientenakte (ePA):
- Einführung eines verbesserten Zugriffs auf die elektronische Patientenakte.
- Patienten können selbst entscheiden, welche Ärzte und Pflegekräfte Zugriff auf ihre Daten haben.
- Telematikinfrastruktur:
- Verpflichtung für alle Praxen und Krankenhäuser, sich an die digitale Gesundheitsplattform anzuschließen, um den Datenaustausch zu erleichtern.
c. Haftungsrecht bei Einsatz von KI
- Neue Regelungen zur Produkthaftung:
- Die EU plant, die Produkthaftungsrichtlinie zu aktualisieren, um KI-Systeme und Medizintechnik abzudecken.
- Hersteller und Ärzte können gemeinsam haften, wenn ein KI-System fehlerhafte Diagnosen stellt oder Schäden verursacht.
- Haftung bei Datenlecks:
- Krankenhäuser und Ärzte haften, wenn Datenlecks in digitalen Systemen zu Schäden bei Patienten führen.
d. Patientenrechte
- Erweiterte Einsichtsrechte:
- Patienten haben das Recht auf vollständige Einsicht in ihre Behandlungsunterlagen, einschließlich digitaler Diagnosedaten und KI-generierter Berichte.
- Verbesserter Schutz vor Diskriminierung:
- Strengere Vorschriften, um sicherzustellen, dass Patienten unabhängig von Alter, Herkunft oder Behinderung gleichwertige medizinische Leistungen erhalten.
3. Europäische Entwicklungen
a. EU-Medizinprodukteverordnung (MDR)
- Einführung neuer Sicherheitsanforderungen für Medizinprodukte:
- Zulassungspflicht: Alle Medizinprodukte müssen strenge klinische Prüfungen durchlaufen.
- Post-Market Surveillance: Hersteller müssen regelmäßig Berichte über die Sicherheit ihrer Produkte erstellen.
b. EU-Künstliche Intelligenz-Gesetz
- Regulierung von KI im Gesundheitswesen:
- KI-Systeme, die in der Diagnostik oder Therapie eingesetzt werden, gelten als Hochrisikoanwendungen und unterliegen strengen Kontrollen.
- Transparenzanforderungen: Patienten müssen über den Einsatz von KI informiert werden.
c. Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung
- eHealth-Initiative der EU:
- Förderung des Datenaustauschs zwischen EU-Mitgliedsstaaten, um Patienten grenzüberschreitend eine bessere Versorgung zu ermöglichen.
Zukünftige Entwicklungen im Arztrecht und Medizinrecht
- Zunehmende Digitalisierung:
- Weitere Integration von KI in die Diagnostik und Therapie.
- Ausbau der Telemedizin und digitale Plattformen zur Patientenbetreuung.
- Fokus auf Nachhaltigkeit:
- Regulierungen zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks im Gesundheitssektor, z. B. nachhaltige Materialien in Medizinprodukten.
- Erweiterte Haftungsfragen:
- Klärung der Verantwortung bei Fehlern von KI-Systemen oder automatisierten Behandlungsmethoden.
- Stärkung der Patientenautonomie:
- Patienten werden voraussichtlich noch mehr Rechte in Bezug auf ihre Daten und Behandlungsmöglichkeiten erhalten.
- Ethik und neue Technologien:
- Diskussionen über die ethischen Aspekte von KI, Genom-Editing und personalisierter Medizin.
Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass das Arztrecht und Medizinrecht sich an die technologischen Fortschritte und die steigenden Erwartungen der Gesellschaft anpassen, um eine rechtliche Basis für moderne und ethische Gesundheitsversorgung zu schaffen.